Was bedeutet das BGH-Urteil zu Googles Autocomplete?

Google hat vor dem Bundesgerichtshof eine Schlappe kassiert. In einem Verfahren um angebliche Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Autocomplete-Vorschläge hat der BGH dem Kläger grundsätzlich recht gegeben. Das Urteil verwirrt den Juristen und kann Folgen für alle Website-Betreiber haben.

Autocomplete-Funktion
Spätestens seit die Noch-Gattin des Ex-Bundespräsidenten Wulff medial darauf aufmerksam gemacht hat, dass Google bei der Suche nach ihrem Namen den Nutzern ergänzende Suchvorschläge unterbreitet, die auf eine Vergangenheit im Rotlichtmilieu hindeuten, weiß Deutschland, was es mit der Autocomplete-Funktion des Suchmaschinenanbieters auf sich hat.

Bisher bekam Google recht
Schon in der Vergangenheit hat es mehrere Gerichtsurteile in Deutschland gegeben, die sich mit der Frage auseinandergesetzt haben, ob Google für zweifelhafte Suchvorschläge eine Verantwortlichkeit trifft. Google hatte bisher immer recht bekommen und sich mit der Begründung durchsetzen können, dass in der Ergänzung keine eigene inhaltliche Aussage von Google liege, sondern lediglich zu erkennen gegeben werde, welche anderen Suchwortkombinationen durch andere Nutzer in der (jüngeren) Vergangenheit eingegeben und deshalb womöglich auch für den Nutzer interessant seien.

Und in der Tat: Man muss sich schon ein bisschen verbiegen, um in die Ergänzung der Suche nach „Bettina Wulff“ um den Begriff „Escort“ eine Behauptung von Google hineinzulesen, Bettina Wulff habe als Escort-Dame gearbeitet oder sei überhaupt damit in Verbindung zu bringen. Googles Lesart, wonach die Vorschläge eben nur widerspiegeln, wonach andere Nutzer suchten, scheint deutlich logischer.

BGH-Urteil: Eigener Aussagegehalt
Vergleichsweise schnell ist nun ein Fall durch die Instanzen zum Bundesgerichtshof gelangt. Und dieser hat schnell geurteilt – zu Lasten von Google (BGH-Urteil vom 14.5.2013 – Az. VI ZR 269/12). Der Suchmaschinenanbieter begehe selbst eine Persönlichkeitsrechtsverletzung, wenn er die Eingabe des Namens einer natürlichen Person mit den Suchwortvorschlägen „Betrug“ oder „Scientology“ ergänze. Etwas anderes gelte nur, wenn die Behauptung, die betreffende Person sei ein Betrüger bzw. hänge mit Scientology zusammen, wahr sei. Allerdings solle die Haftung nicht sofort eintreten, sondern nur, wenn Google Kenntnis von den – automatisch erzeugten – Suchvorschlägen und deren Rechtswidrigkeit habe oder erlangt.

Das Urteil kommt für die meisten Internetjuristen einigermaßen überraschend. Schon das Ergebnis – Haftung des Suchmaschinenanbieters – ist befremdlich. Besonders verwirrend ist aber die Begründung des Urteils. Die Einzelheiten müssen hier nicht interessieren. Wichtig ist aber, dass Google nach Ansicht des BGH nicht für eine fremde Rechtsverletzung als so genannter Störer einstehen muss, sondern angenommen wird, dass in der Auswahl der Suchworte eine eigene Handlung von Google liegt. In dem Suchvorschlag liege ein eigener Aussagegehalt von Google. Damit hafte Google also für eigene Handlungen und zwar voll nach den allgemeinen Gesetzen.

Das war dem erkennenden Senat dann aber offenbar selbst zuviel, so dass er die Position von Google dergestalt verbessert hat, dass die Haftung nicht sofort greifen soll, sondern erst, wenn eine Kenntnis nachgewiesen werden kann. Diese Volte ist offensichtlich ergebnisorientiert, lässt sich dogmatisch kaum begründen und sorgt für Verunsicherung in der Online-Branche.

Grundsätzlich: Eigene vs. fremde Inhalte
Welche Folgen die Entscheidung des BGH für die Haftung im Internet haben wird, lässt sich kaum absehen. Umso wichtiger ist, dass man sich die Grundsätze der Haftung im Internet noch einmal vor Augen führt:

Für eigene Inhalte haftet der Website-Betreiber nach den allgemeinen Gesetzen. Wer also etwa einen Text für eine Landingpage verfasst und dabei beleidigende Äußerungen integriert, muss dafür einstehen und haftet gegebenenfalls auf Unterlassung und Schadensersatz. Gleiches gilt, wenn dieser Text eine Auftragsarbeit ist und von einem Texter übernommen wurde. Weil nach außen nicht erkennbar ist, dass der Text nicht von dem Betreiber der Seite stammt, wird der Inhalt zu einem eigenen Inhalt. Es kommt also nicht darauf an, wer den Text verfasst hat, sondern wer nach außen als verantwortliche Person erscheint.

Wer dagegen erkennbar fremde Inhalte in seine Website einbindet, haftet erst ab dem Zeitpunkt, in dem er Kenntnis von den Umständen erlangt, die die Rechtswidrigkeit begründenden. Werden also in einem embedded Video fremde Urheberrechte verletzt, muss der Websitebetreiber den Link zwar entfernen, haftet aber weder auf Schadensersatz noch Ersatz etwaiger Abmahnkosten. Gleiches gilt zum Beispiel für Beiträge in unmoderierten Foren oder Kommentare in Blogs oder auf Facebook. Gibt der Website-Betreiber aber sein Einverständnis mit der getätigten Aussage zu erkennen oder erweckt er den Anschein, die Kommentare geprüft und freigeschaltet zu haben, haftet er für diese Inhalte wie für eigene Informationen.

Was heißt dies für Online-Anbieter?
Bei dieser grundsätzlichen Einteilung wird es – ungeachtet des Autocomplete-Urteils des BGHs – vorerst bleiben und zwar unabhängig davon, ob es sich um (vermeintliche) Persönlichkeitsrechtsverletzungen oder Eingriffe in fremde Marken oder Urheberrechte handelt.

Unternehmen, die sich auf der Website Automatismen bedienen, die zu ungewollten Rechtsverletzungen führen können, sollten aber Vorsicht walten lassen. Gerade internen Suchmaschinen in Online-Portalen kann man nach diesem Urteil eine eigene Aussage beimessen. Wird etwa auf der Suche nach Zwangsversteigerungen auch die Immobilie eines Bürgers ausgewiesen, der sein Haus freiwillig anbietet, kann das eine Haftung auslösen, auch wenn das Suchergebnis auf Eintragungen Dritter zurückgeht. Auch bei dynamischen Landingpages sind – zugegeben bisher theoretisch – Rechtsverletzungen möglich.

Ende des Autocomplete?
Ein Ende vom Autocomplete ist sicher nicht zu fürchten. Es ist beispielweise denkbar, dass Google einer Haftung zunächst dadurch entgehen kann, dass deutlicher gemacht wird, wie die Suchwortvorschläge zustande kommen und es sich gerade nicht um eine eigene Aussage von Google handelt. Möglich auch, dass Google eine einfache Beschwerdemöglichkeit schafft und relativ unproblematisch Suchkombinationen löscht.

Auch der Aussagegehalt, den der BGH in den Vorschlägen sieht, ist durchaus flexibel. Immerhin denkbar ist etwa, dass in der Ergänzung „Escort“ die Aussage zu sehen ist, dass in der Presse über eine entsprechende Verbindung spekuliert wird. Dagegen wird sich Frau Wulff in dem nun anstehenden weiteren Verfahren in ihrer Sache womöglich nicht zur Wehr setzen können.

Ein Ende des Autocomplete in Deutschland steht jedenfalls nicht zu fürchten, weil Google erst handeln muss, wenn eine Kenntnis der Inhalte nachweisbar ist.