Große Auswahl = Individualität = Ausschluss des Widerrufsrechts?

Bekanntlich steht dem Verbraucher ein Widerrufsrecht zu, wenn er im Internet einen Vertrag schließt. Das ist für den Händler insbesondere dann misslich, wenn die Ware erst nach dessen Bestellung für den Kunden nach seinen Wünschen angefertigt wird.  Deshalb sieht das Gesetz für solche Fälle ein Widerrufsrecht vor. Immer wieder Gegenstand von Gerichtsurteilen ist die Frage, wann diese Ausnahme greift.

Die gesetzliche Bestimmung
§ 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB sieht vor, dass ein Widerrufsrecht nicht besteht bei Verträgen:

„zur Lieferung von Waren, die nicht vorgefertigt sind und für deren Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist oder die eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind“

Die Ausnahme hat zwei Alternativen:

  • Ware ist nicht vorgefertigt und individuelle Auswahl maßgeblich oder
  • Ware ist eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten

Paradebeispiel für die erste Alternative sind etwa individuell gestaltete und gedruckte Fotobücher. Auch der Maßanzug fällt darunter. Lässt der Verbraucher dagegen etwa auf einem iPad vom Händler eine Gravur anbringen, fällt das unter die zweite Alternative. Das Widerrufsrecht ist dann ebenfalls ausgeschlossen.

Die erste Alternative der Ausnahmebestimmung hat zwei Voraussetzungen:

  • Es muss sich um Waren handeln, die nicht bereits vorgefertigt sind.
  • Für die Herstellung der Ware muss eine individuelle Auswahl oder Bestimmung des Verbrauchers maßgeblich sein

Nicht vorgefertigt“ bedeutet, dass der Unternehmer oder ein von ihm beauftragter Dritter im Anschluss an die Verbraucherbestellung die Ware erst noch zusammenstellt oder noch Anpassungen an der Ware vornimmt.

Eine „individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher“ setzt zunächst voraus, dass der Verbraucher ein Wahlrecht hat. Dabei greift die Ausnahme nicht schon, wenn der Kunde zwischen mehreren Varianten für die Ausstattung der Ware auswählen kann. Die erforderliche Individualität deutet an, dass es sich nicht um ein standardisiertes Massenprodukt handeln darf. Der Händler hat es also nicht in der Hand einfach mehrere Varianten der Ware anzubieten, um das Widerrufsrecht auszuschließen.

Maßgeblich: Wiederveräußerbarkeit
Bei genauerer Betrachtung kommt es nicht so sehr auf die Auswahlmöglichkeit des Verbrauchers an, sondern die damit verbundenen Schwierigkeiten, falls der Verbraucher von seinem Widerrufsrecht Gebrauch macht. Der Ausschluss des Widerrufsrechts beruht auf dem Umstand, dass der Unternehmer eine zurückgesendete Ware, die gesondert für einen konkreten Kunden hergestellt wurde, nicht wiederveräußern kann. Vor diesem Hintergrund muss auch die Ausnahme ausgelegt werden.

Entscheidend ist, ob der Unternehmer nach der Rücksendung die Ware wieder ohne größere Verluste weiterverkaufen kann. Voraussetzung ist dabei grundsätzlich, dass sich die Individualisierung wieder rückgängig machen lässt und welchen Aufwand das auslöst.

Zum Widerrufsrecht auch bei Built-to-order-Notebooks hatte schon zum alten Recht der BGH entschieden. Auch das Berliner Kammergericht hat sich mit der Frage befasst und unter anderem entschieden, dass es auf den Einzelfall ankommt, ob ein Widerrufsrecht besteht.

Widerrufsrecht bei Sofa-Kauf?
In den vergangenen Monaten hat es einige Urteile zu der Frage gegeben, unter welchen Voraussetzungen die Bestellung von Möbeln, die aufgrund von Kundenvorgaben zusammengestellt werden, unter die Ausnahme fällt.

Das AG Siegburg (Urteil vom 25.9.2014 – Az. 115 C 10/14) hat entschieden, dass eine Auswahl aus sehr vielen Kombinationsmöglichkeiten als Kundenspezifikation anzusehen sein kann. Im konkreten Fall gab es über 100 verschiedene Kompositionsmöglichkeiten zur Konfiguration eines Sofas.

Auch das LG Düsseldorf (Urteil vom 12.2.2014 – Az. 23 S 111/13 U) sieht in solchen Fällen einen Ausschluss vom Widerrufsrecht. Wenn das Sofa erst nach der Bestellung angefertigt wird und 578 verschiedene Farb- und Aufbaukombinationen möglich sind, besteht kein Widerrufsrecht. Anders als bei Notebooks, die – wenn auch mit Aufwand – wieder auseinandergebaut werden können, ist die Individualisierung nicht ohne Weiteres rückgängig zu machen. Eine Weiterveräußerung in der jeweiligen Ausgestaltung ist häufig nur mit erheblichen Preisabschlägen (von über 50 %) möglich.

Anders hat das AG Dortmund (Urteil vom 28.4.2015, Az. 425 C 1013/15) entschieden. Hier ging es um den eBay-Verkauf eines Sofas. Das Gericht hat dem Verbraucher sein Widerrufsrecht zugestanden. Die Konstellation war hier aber etwas anders: Der Verbraucher konnte zwar aus 17 möglichen Farbvarianten wählen, entschied sich aber offenbar für eine Standardvariante, die noch dazu der Bebilderung auf eBay entsprach. Hier ging das Gericht davon aus, dass sich eine solche Standard-Couch ohne Weiteres weiterveräußern lässt. Zwingend ist das Ergebnis aber nicht – schließlich musste auch diese Variante zunächst angefertigt werden und kann nicht wieder rückgängig gemacht werden.

Alles in allem bleibt es also eine Entscheidung im Einzelfall, ob ein Widerrufsrecht besteht.

Erkennbarkeit der Anfertigung nach Kundenspezifikationen
Einigkeit besteht auch darüber, dass die gesonderte Anfertigung nach den Vorgaben des Kunden für den Verbraucher erkennbar sein muss. Ergibt sich das nicht ohne Weiteres aus den Umständen (z.B. lange Lieferzeit), sollte darauf gesondert hingewiesen werden.

Belehrung über den Ausschluss des Widerrufsrechts
Das Gesetz verlangt ferner eine Belehrung darüber, dass ein Widerrufsrecht gegebenenfalls nicht besteht. Wünschenswert wäre zwar eine auf den jeweiligen Fall zugeschnittene Belehrung. Dies stellt den Unternehmer aber vor die Herausforderung, vor Kenntnis von der konkreten Bestellung des Kunden zu entscheiden, ob ihm die Weiterveräußerung zumutbar ist. Das Kammergericht hat dazu entschieden, dass es einer Belehrung im konkreten Einzelfall nicht bedarf. Vielmehr genügt es, den Gesetzestext wiederzugeben und darauf hinzuweisen, dass das Widerrufsrecht ausgeschlossen ist, wenn die Ware, die nicht vorgefertigt ist und für die Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist.

Fazit
Eine große Auswahlmöglichkeit führt jedenfalls nicht automatisch zum Ausschluss des Widerrufsrechts. Entscheidend ist vielmehr, dass sich der Kunde für eine Variante entscheidet, die jenseits des Standards liegt und die Rücknahme für den Unternehmer unzumutbar ist, weil er die Ware nicht wieder auseinanderbauen und nur mit erheblichem Preisabschlag wieder verkaufen könnte.

Für den Verbraucher muss erkennbar sein, dass die Ware extra für ihn anfertigt wird.

Es genügt, wenn der Verbraucher unter Hinweis auf das Gesetz allgemein darüber belehrt wird, dass das Widerrufsrecht unter Umständen ausgeschlossen ist.